Stellschirme hatten – anders als Rollbilder - in erster Instanz immer eine rein schmückende Funktion; sie dienten als Raumteiler oder dann als Hintergrund für die Präsentation einer Person oder eines Geschehens. Sie wurden stets in leicht gefaltetem Zustand aufgestellt, der ihnen auch Standfestigkeit sicherte. Als Malerei konzipiert waren sie entweder paneelweise oder als Gesamtbild konzipiert.
Dieser Stellschirm ist eindeutig als Gesamtbild gedacht, was ihm den Ausdruck innerer Monumentalität sichert und seine Präsentation als ganz aufgeklapptes Wandbild rechtfertigt. Der Maler nahm kaum Rücksicht auf die Zweiteiligkeit, was sich deutlich bei der Gestaltung des mittleren Kranichs erkennen lässt – dieser befindet sich eigentlich ganz im rechten Teil des Stellschirms, nur ein Zipfel seines rechten Flügels ragt noch in die andere Stellschirmhälfte. (Eine ähnliche Überlappung findet sich am untern Rand der rechten Schirmhälfte – nur ein kleiner Kiefernadelbüschel ragt von links her noch in das rechte Bild.)
Drei Kraniche sind in drei verschiedenen Stadien dargestellt: rechts oben ein Kranich im Anflug. Er fügt sich virtuell in ein Rechteck. Der zweite Kranich ist ganz deutlich eine Dreickskomposition mit seinen hängenden Beinen, die signalisieren, dass er gleich landen wird. Der Kranich links ist mit dem Nest zu seinen Füßen und seiner unmittelbaren Umgebung von Kiefernästen am ehesten einem Kreis einbeschrieben. Diese drei geometrischen Formen, Rechteck, Dreieck, Kreis – auch wenn sie nicht in den Gestaltungsvordergrund gerückt sind – sind eine grundlegende und anspruchsvolle Kompositionsbasis für japanische Kunst. (Die drei Grundformen gelten im Zen als die drei Komponenten, aus denen die Welt besteht).
Das klingt nach Symbolik, und die ist auch auf der Ebene der Motive von Kranichen und Kiefer gegeben: Die Kiefer gehört zu den symbolträchtigsten Pflanzen. Sie verkörpert mit ihren immerwährend grünen Nadeln Langlebigkeit und mit ihrem knorrigen Wuchs Widerstandsfähigkeit. (In Japan wurden sie oft an Meeres- und Seestränden gepflanzt, um Schutz vor Stürmen vom Wasser her zu bieten.)
Die Kraniche sind in Asien ein Symbol für ewiges Jungsein. Sie horsten auf der Insel der Unsterblichen (Hōrai) und sind Reittiere für Heilige, wenn sie die Himmel durchqueren. In Japan sind sie besonders beliebt, da sie als schneeweisse Tiere auf dem Kopf einen roten Fleck aufweisen, was die Japaner an ihre Flagge erinnert. Die Familienverhätnisse dieser drei Kraniche ist nicht ganz klar. Bestimmt ist es die „Mutter“, die auf der Kiefer ihre Jungen hütet. Doch welcher der beiden andern Kraniche ist der „Vater“- sehen wir ihn zweimal, „in motion“, d.h. in einer Art Manga-Darstellungsmanier, wie wir sie schon von ältesten Bildrollen her kennen?
Der Zauber dieses Stellschirm schuldet die Malerei der sicher auch dem Goldhintergrund. Da der Stellschiim etwa 150 Jahre alt ist, hat sich in diesen hauchdünnen applizierten Goldplättchen Vieles verädert. Es gibt eingedunkelte oder auch poröse Stellen, dazu kommen auch Narben des Stellschirm-Gebrauchs. All diese Details, die von nahe besehen nicht nur „schön“ sind, verleihen dem Stellschirm aus der Distanz den Reiz des „Kostbar-Alten“.
Natürlich war Gold auch in Japan Inbegriff des Kostbaren und wurde zunächst vorwiegend im religiösen Kontext verwendet Doch dieser Stellschirm stammt wohl aus einem wohlhabenden bürgerlichen Haus. Man liebte solche goldene Stellschirme nicht nur aus Repräsentier-Gründen, sondern wegen ihrer Fähigkeit, gleichsam Licht zu absorbieren und verstärkt in den Raum zurückzuwerfen. Japanische Häuser waren in der Regel sehr dunkel - vor allem die hinteren Räume. Man musste klug, das einfallende Sonnenlicht nutzen, um weg von den Schiebetüren (gegen den Garten hin) noch Licht im Innern des Hauses zu haben. Glatte Goldflächen waren dafür ideal mit ihrer Besonderheit, auftreffendes spärliches Licht im Widerschein gefühlsmässig verstärken und den Raum mit einem weichen warmen Licht zu erleuchten.
Maße: 91cm (x2) x 171cm | Material: Papier