Zen Kalligrafie fushoku 普觸 Begrüßungsgeste vor Zen-Meditation | Jiun Onkō慈雲飲光 | 1718–1804

Zen Kalligrafie fushoku 普觸 Begrüßungsgeste vor Zen-Meditation | Jiun Onkō慈雲飲光 | 1718–1804

Bevor eine Zen-Meditation beginnt, begrüßt der Meister seine Schüler. Sie verneigen sich dreimal vor ihm, indem sie mit der Stirne die Erde berühren. Diese Begrüßungsgeste nennt man fusokurei普觸禮. (Rei bedeutet „Respektgeste“, oder „Dank“ – die Lesung der beiden vorangehenden Zeichen allein ist normalerweise nicht fusoku, sondern fushoku).

Auch wenn es sich also bei diesen beiden Zeichen nur um eine stehende Formel handelt, dringt doch ein Priester-Kalligraf tiefer in die Bedeutung der beiden Zeichen ein. Das erste rechts, fu, bedeutet allein „weit verbreitet“, „üblich“. Es wird im alltäglichen Sprachgebrauch am ehesten in der Verbindung von futsū gebraucht:„normal“. Im Zen ist das aber ein ganz wichtiges Zeichen, denn der Meditierende soll ja einen unverstellten Zugang zur Realität erreichen. Er will sich dabei nicht mit komplizierten Theorien und Erklärungen auseinandersetzen. Er will die Dinge so erfassen „wie sie sind“. Jiun schreibt dieses Zeichen, obwohl er seinen charakteristischen borstigen „uneleganten“ Pinsel benutzt, sehr einfach leserlich. Er erlaubt sich nur eine einzige kalligrafische Freiheit: anstatt in der Mitte zwei senkrechte Striche zu malen, malt er nur einen. Es ist, als finde er die Wiederholung eines gleichen Strichs schlicht als eine unnötige Zugabe.

Das Zeichen shoku links, ist nun vollkommen anders behandelt - wild, emphatisch. Es bedeutet allein benutzt „berühren“. Wenn das rechte Zeichen durch horizontale und vertikale Striche sehr stabil und schlicht im Aufbau wirkt., so ist das linke Zeichen – mit Ausnahme des ersten Strichs – in seiner komplizierten Strichabfolgenstruktur im Detail nicht analysierbar. „Berühren“ ist ein komplexer seelischer und phyischer Vorgang. Wenn ein Meditierender in Berührung mit dem „einfach So-seienden“ kommt, ist das für ihn alles andere als einfach. Die Welt einfach so zu verstehen und zu nehmen wie sie ist, ist das Allerschwerste; Zen-Mönche arbeiten ein ganzes Leben lang daran.

Mir scheint, Jiun gelingt es in der Gegenüberstellung von „einfach“ und „berühren“ den Kern des Zen-Meditationsziels konzis zu erfassen. Die ganze Problematik der menschlichen Aspiration, in der Welt aufgehen zu können, wird mit der höchst unterschiedlichen grafischen Darstellung dieser beiden Zeichen schlagartig bewusst gemacht.

Das Bild befand sich in der Sammlung von Kinami Takuichi (1925-2016). Er veröffentlichte die Kalligrafie 2012 in der halbprivaten Publikation: „Jiun Sonsha – Seine Kalligrafie, Biografie und Philosophie“ (Bd. 6) Tokyo 2012.

 

Maße: 62cm x 108cm | Material: Papier

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